Tafel 20
Antisemitische Kampagne im Jahre 1968


Arbeiterversammlung der Waggonfabrik PAFAWAG in Breslau, 14. März 1968. "Raus mit den Zionisten!"

Massenkundgebung mit ca. 20.000 Teilnehmern auf dem Platz der Roten Armee in Oppeln, 21. März 1968. "Wir unterstützen die Politik der Partei"

"Die israelischen Besatzer setzen die Aktion der Aussiedlung der Araber aus dem Gaza-Streifen fort."
"Man muß die Erfahrungen nutzen ..."

Massenkundgebung in den Ursus-Traktorenwerken in Warschau, 16. März 1968. "Bestraft die Provokateure!"

Kundgebung in den Flugzeughallen der LOT auf dem Flughafen Okęcie in Warschau. "Reinigt die Partei von Zionisten!"

Parteichef Władysław Gomułka während eines Treffens mit Parteiaktivisten in Warschau am 19. März 1968. In seiner Rede gibt er einer Gruppe von Studenten hauptsächlich jüdischer Abstammung, die sich am 3. März in der Wohnung von Jacek Kuroń getroffen hatten, die Verantwortung für die Studentenproteste, die er als Provokation und "zionistische Verschwörung" bezeichnet.

"Raus mit den Zionisten". In der Presse wird ganz besonders die Anzahl der Kundgebungsteilnehmer herausgestellt. Es werden sogar Aufschriften der Transparente auf Fotos retuschiert, um die antisemitischen Parolen zu betonen.

Die Studentendemonstrationen für mehr Freiheit im März 1968 passen nicht zu den Vorstellungen eines sozialistischen Staates, dessen Bürger wunschlos glücklich zu sein haben. In den Reihen der Partei findet zu dieser Zeit ein Machtkampf statt. Auf diesem Hintergrund "bewährt" sich eine erprobte Methode der Ausschaltung politischer Gegner: ein Sündenbock wird benötigt und die Wahl fällt auf die Juden. Die ersehnten Argumente für die Beseitigung der "kosmopolitischen" Parteigenossen (Parteimitglieder jüdischer Abstammung) liefert der israelisch-arabische Krieg von 1967 (sogenannter Sechs-Tage-Krieg). Die Regierung der Volksrepublik Polen spricht sich - der Sowjetunion folgend - für die arabische Seite aus und bricht die diplomatischen Beziehungen mit Israel ab. Sie wirft der jüdischen Bevölkerung Polens Sympathie für Israel vor, das als Aggressor gebrandmarkt wird. Die Medien entfesseln eine Welle "antizionistischer" Propaganda, die gegen alle Bürger jüdischer Abstammung gerichtet ist. Für ihre Aktionen benötigt die Regierung die "Unterstützung" der Gesellschaft. Landesweit werden Massenversammlungen für die Unterstützung der Politik der Partei und ihrer Führung inszeniert. Arbeiter werden aus den Betrieben geholt, erhalten Transparente und müssen Parolen skandieren, deren Inhalt sie häufig selbst nicht verstehen. Tausende Juden verlieren daraufhin ihre Arbeit, werden schikaniert und werden unter Zurücklassung ihres Besitzes zur Emigration gezwungen. Nur wenige Polen, die den Mut haben, sich gegen die kommunistische Diktatur zu stellen, protestierten öffentlich gegen diese Ereignisse. Zwischen den Jahren 1967 und 1972 verlassen ca. 30.000 Personen jüdischer Abstammung das Land. Die Mehrheit sind assimilierte Juden, die überzeugt waren, in Polen eine gute Zukunft zu haben.

Die antisemitische Kampagne hat die Entfernung der als Juden betrachteten Mitglieder aus der Partei zur Folge. Anschließend werden sie aus der Arbeit entlassen. Viele von ihnen müssen das Land verlassen. In der Mehrzahl sind sie eng mit der polnischen Kultur verbunden. Ein ähnliches Schicksal trifft auch andere Bürger, die es wagen, offen gegen die Aktionen der Regierung zu protestieren.
Leszek Kołakowski, polnischer Philosoph, bis 1968 Professor an der Warschauer Universität, danach u.a. an der Universität Oxford, lebt in Großbritannien.
Zygmunt Bauman, Soziologe, bis 1968 Professor an der Warschauer Universität, danach an der Universität in Leeds, lebt in Großbritannien.





     
A & K Woźniak